Kritik im Standard, 16.5.2014
Österreichische Erstaufführung von „Amber Hall“ in der neuenbühnevillach
Der Erbtante mit ein paar Pülverchen beim Sterben auf die Sprünge zu helfen heißt in Frankreich „corriger la fortune“. Lars Lienen packt diese Korrektur des Schicksals in Amber Hall in ein sehr englisches Gruseldrama. Das gelangte nun in der neuenbühnevillach zur österreichischen Erstaufführung. Wer bei den einzigen Requisiten auf der intimen Bühne, einigen in weiße Leintücher geschnürten Fauteuils, an Leichen denkt, liegt richtig: Das britische Landhaus Amber Hall hat die Eigenart, seit 150 Jahren ungesühnte Morde zu rächen, indem es Leute (wie hier die rothaarige Giftmischerin Emily Roslin) anlockt und so lange unter Druck setzt, bis sie an einer Fischgräte ersticken oder sich im Stiegenhaus das Genick brechen.
Michael Weger setzt das Drama als parapsychologische Gratwanderung um, indem er mit Horroreffekten sparsam umgeht, dafür aber desto tiefere Einblicke in die Seelenleben der fünf Darstellerinnen gewährt. Diese liefern eindrucksvolle Talentproben ab. Amrei Baumgartls Emily ist eine Frau am Abgrund, der man mit ihrer Schwester Alanna (Daniela Graf löst sich förmlich in Fürsorge auf) den Mord an der Tante fast nachsieht, sobald sich ihre Lebensgeschichte offenbart: Die Eltern durch ein Verbrechen verloren, mittellos ob der Ausschweifungen des Vaters, nach einem Verkehrsunfall fast querschnittgelähmt, landete sie in der Psychiatrie. Es war, lässt Lienen sie sagen, „als wenn einem ein Lastwagen frontal gegen den Verstand fährt“. An Tabletten wieder aufgerichtet, verfällt sie auf die Idee mit der Tante. Aber das Herrenhaus steht für einen Gerechtigkeitssinn, der keine Gnade kennt. (elce, DER STANDARD, 16.5.2014)